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Feed Me, Seymour! -Das Sauerteig Prinzip.

Anstellgut hat tatsächlich etwas von einem Haustier, denn der Sauerteig muss alle sieben bis zehn Tage gefüttert werden.; arbeitet man nicht sauber, vergisst man ihn, oder mag er eine Umgebung nicht, kann er kippen oder verhungern, die Milchsäurebakterien oder eben die wilde Hefe gewinnen die Oberhand, und das Brot geht wahlweise nicht mehr ideal auf, oder ist zu sauer. Klingt schrecklich kompliziert und verwirrend? Meinen ersten Sauerteig hatte ich sieben Jahre lang. Wenn ich das kann, kannst du das auch. Er ist mit mir in den Urlaub gefahren, zu meiner Familie, hat das ein oder andere Land gesehen und wurde manchmal in liebevoller Obhut daheim gelassen. Nur mein Inselleben mochte er nicht. Nach angemessener Trauerphase lebt nun seit einer Weile ein neues Anstellgut in meinem Kühlschrank und harrt der Dinge die da kommen; die Fütterung ist sicherheitshalber im Kalender angestrichen und ein Vorrat Roggenmehl ist auch im Haus, sodass auch bei eingestelltem Fährverkehr zur Insel keine Panik ausbricht.

Okay, beginnen wir am Anfang. Ihr habt kein Anstellgut, hättet aber gern welches? Tja, dann habt ihr zwei Möglichkeiten: Variante eins: Die Adoption: Ein Freund, Bekannter, Nachbar oder kleiner Bäcker von Nebenan hat einen liebevoll gepflegten Sauerteig, und gibt euch ein bisschen Anstellgut ab. Herzlichen Glückwunsch, ab hier könnt ihr zur Fütterung springen. Denn merke: Sauerteig gehört zu diesen ominösen Dingen, die mehr werden, wenn man sie teilt. Variante zwei: Weit und breit kein Sauerteig zu bekommen. Das Ansetzen: Roggenmehl Typ 997 oder 1150, also eine relativ fein ausgemahlene Sorte lauwarmes Wasser ein großes, sauberes Glas, wer hat mit Schnappverschluss oder ein Weckglas ohne Dichtungsring Das war's schon an Zutaten. Na gut, etwas Geduld braucht ihr auch noch, aber den Rest erledigen die Milchsäurebakterien und die wilde Hefe. Hände, Utensilien und Glasrand sollten immer sauber sein. -Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist es auch, ist aber entscheidend. Am ersten Tag zehn Gramm Roggenmehl und zehn Gramm lauwarmes Wasser am Boden des Glases vermischen. Das Glas ohne Gummi schließen, damit es zwar geschlossen, aber nicht absolut dicht ist, und an einen warmen Ort stellen. An den folgenden drei Tagen jeweils zehn Gramm Roggenmehl und lauwarmes Wasser dazu geben, verrühren, verschließen und wieder beiseite stellen. Am fünften Tag die Hälfte aus dem Glas nehmen, erst dann je dreißig Gramm Roggenmehl und Wasser dazu geben, den Füllstand mit einem Gummiband markieren und wieder an einen kuschlig warmen Ort stellen. Was ihr entnommen habt, braucht ihr nicht mehr, könnt ihr aber wie unten beschrieben verwerten. Verdoppelt sich über Nacht das Volumen, habt ihr es geschafft! Tada, euer eigener Sauerteig. Jetzt einmal ab zur Raubtierfütterung, bitte. Sind zwar Bläschen im Teig zu sehen, aber das Volumen hat sich nicht verdoppelt, könnt ihr ihn noch ein, zwei Tage weiter jeden Tag mit Wasser und Mehl anreichern, und schauen, ob er aktiver wird. Sollte sich nichts getan haben, ist etwas schief gelaufen. Das Wasser war zu heiß, das Glas verunreinigt, oder es hat sich nicht die gewünschte Mischung aus Milchsäurebakterien und wilder Hefe angesiedelt. Das ist zum Glück ziemlich unwahrscheinlich, aber in diesem Fall hilft alles nichts. Sprich, zurück auf Anfang. Die Raubtierfütterung:

Genau wie industrielle Hefe, mag es auch das Anstellgut nicht zu warm. Achtet also darauf, dass das Wasser nie wärmer als Körpertemperatur ist, und auch der warme Ort, an den ihr es zum Aufgehen stellt, nicht zu heiß ist. Ich sage zwar Fütterung, meine aber eigentlich Auffrischung. Das hat sich für mich als die praktikablere Variante heraus gestellt, immer nur wenig Anstellgut da zu haben, und es dafür jedes mal aufzufrischen. Ein Beispiel: 4g Anstellgut 40g Roggenmehl 50g lauwarmes Wasser

Ich nehme abends das "hungrige" Anstellgut aus dem Kühlschrank, und gebe vier Gramm davon in ein sauberes Glas, mische es erst mit dem lauwarmen Wasser, dann mit dem Mehl, rühre es um, bis kein trockenes Mehl mehr zu sehen ist, streiche es mit einem Gummischaber schön glatt, und den Rand sauber, markiere den Füllstand mit einem Gummiband, schließe das Weckglas ohne die Gummidichtung, und stelle es in die Nähe der Heizung. Am nächsten Morgen hat es sich verdoppelt bis verdreifacht, darf wieder in den Kühlschrank, und muss erst eine Woche später wieder gefüttert werden. Diese Prozedur mache ich immer am gleichen Wochentag, damit ich es nicht vergesse. Dem Anstellgut einen Namen zu geben, hilft übrigens ebenfalls. Nach der Fütterung ist das Anstellgut am Aktivsten, also perfekte Voraussetzungen zum Backen von Broten, für die viel Triebkraft gebraucht wird. -Ihr müsst nur unbedingt so viel Anstellgut zurück behalten, dass ihr in der nächsten Woche wieder genug zum Füttern im Kühlschrank habt. Das übrig gebliebene, "hungrige" Anstellgut könnt ihr für Rezepte verwenden, für die es nicht ganz so viel Triebkraft braucht, wie zum Beispiel Knäckebrot. Oder ihr gebt es einfach zusätzlich zum Teig. Ich nehme es aber meistens für mein reines Roggennbrot, so könnt ihr am gleichen Abend euer Anstellgut füttern, und den Vorteig ansetzen. Wisst ihr, dass ihr eine Weile keine Zeit zum Backen haben werdet, könnt ihr natürlich auch nur ein Gramm Anstellgut mit zehn Gramm Mehl und zwölf Gramm Wasser füttern, oder umgekehrt: Wenn ihr viel backen -oder teilen- wollt, entspechend mehr Anstellgut mit Wasser und Mehl auffrischen. Was erstmal kompliziert klingt, ist also bald zur Routine geworden, und passiert schnell und nebenbei. Übrigens, wenn ihr einen Sauerteig aus einer anderen Getreideart haben wollt, könnt ihr mit einem Ableger eures Roggenanstellguts einen Weizen- oder Dinkelsauerteig "umfüttern", also statt mit Roggenmehl mehrfach mit einer anderen Getreideart füttern, beziehungsweise auffrischen. Seid ihr noch immer verwirrt? Dann hilft einfach ausprobieren; und wenn auch das nicht helfen will, tu' ich's nach besten Kräften.

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